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Kunst & Alltag

Music For Fans (13): John Cale – Honi Soit

John Cale
Honi Soit
A&M, 1981

 

Der Waliser begleitet mich seit Anfang der 80er Jahre, als ich seinen Namen auf einem Album von The Velvet Underground gelesen habe, das mich nach einer Odyssee über The Sweet, Status Quo und Pink Floyd zu einer Art von Musik geführt hat, die man in unserer Kleinstadt nur mit Glück finden konnte.

 

Und eigentlich hätte ich hier eher etwas über „Paris 1919“ schreiben müssen, mein Lieblingsalbum von John Cale und das beste Album der Pop-Geschichte überhaupt, falls man sich tatsächlich auf solch eine unverrückbar endgültige Bewertung festlegen und -nageln lassen möchte.

 

Aber „Honi Soit“ war die gute alte Initialzündung, die mir 1981 bei Schallplatten Weil in der Lindauer Fußgängerzone so brutal in die Ohren schoss, als ich auf einen Tipp des Musik Express hin mir die Spiralkabel aus der Theke zog und die zwei separat zu haltenden Kopfhörerteile an die Ohren führte.

 

Es gibt auf diesem Album keinen schlechten Song, es gibt einige gute, ein paar sehr gute, und es gibt zwei MONUMENTE: „Dead Or Alive“ rattert mit einer genialen Mischung aus Bach-Trompete, Gitarrengehacke und stur stampfendem Schlagzeug dahin, und des Meisters Stimme kräht bereits am Anfang des Albums aus den tiefsten Schluchten der Resignation den verlorenen Glauben an die Menschheit von ganz weit unten nach nirgendwo.

 

Agonie at it’s best und nicht zu toppen, denkt man, aber dann erhebt sich „Strange Times In Casablanca“: Gemurmel und Gequäke ohne Melodie, eine einzige Qual, ein Inferno aus dumpfen Kampfflugzeugangriffen, die den Rest der Musik schier wegdrücken, ein Geheule und Klagen, textlich völlig wirr, ein vierminütiger Blick in Cales persönliche Hölle, „like maggots in despair“.

 

Kaum ein Song hat Brutalität, Stumpfsinn, Fieberwahn, Perversion und zivilisatorischen Verfall in meinen Ohren je besser ausgedrückt als dieses Stück Irrsinn, das sich ganz am Schluss kurz über das Chaos erhebt und mit einem letzten sauberen, metallenen Gitarrenlauf sich Richtung Fegefeuer verabschiedet.

 

Der Rest ist Fake-Disco, eine bis auf den letzten Knochen abgenagte Version von „Streets Of Laredo“, artifizieller Rock, wie wir ihn heute nirgends mehr hören, und eine klassische Piano-Ballade (im Sinne von „Klassik“).

 

John Cale ist heute anscheinend clean, er ist Jahrgang 1942, da kann man das verstehen. „Honi Soit“ ist exakt an meinem 18. Geburtstag veröffentlicht worden, habe ich gerade herausgefunden. Der Waliser ist am Tag zuvor 39 geworden. Vielleicht sollte ich mich mehr mit spirituellen Dingen beschäftigen. I don’t think anybody wants to smash anymore.