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Kunst & Alltag

Music For Fans (11): Tropicalia – A Brazilian Revolution In Sound

Various Artists
Tropicalia – A Brazilian Revolution In Sound
Soul Jazz Records 2005

 

Kein Mensch weiß, was in Brasilien in den nächsten fünf Wochen los sein wird. Werden die Hunderttausende, die bereits vor einem Jahr auf den Straßen zum Ausdruck brachten, dass es ihnen nicht so recht einleuchtet, dass ihre Forderungen nach mehr Bildung, sozialer Gerechtigkeit und dem Ausbau des Gesundheitssystems und der Infrastruktur zwar seit vielen Jahren mit dem Hinweis auf mangelnde finanzielle Ressourcen abgeschmettert, aber gleichzeitig gigantische Summen für die WM ausgegeben werden, stillhalten, wie es die FIFA und die brasilianischen Organisatoren erwarten (bzw. erhoffen)? Oder wird über das Land doch ein Sturm des Protestes hereinbrechen, von dem noch niemand weiß, was er anrichten wird?

 

Als Außenstehender (aber gibt es in einer globalisierten Welt, deren Globalisierung meistens nur noch die globalen Chancen derjenigen erhöht, die eh schon auf der Gewinnerseite stehen, überhaupt noch „Außenstehende“?), hofft man, dass irgendwie … beides geht: eine sportlich tolle WM mit einem demonstrativen „Rahmenprogramm“, das der Regierung keine andere Wahl lässt, als die o.a. Forderungen in Angriff zu nehmen. Oder bricht man die Sache nach einer Woche ab?

 

Geht’s hier nicht um Musik? Ach ja, richtig, Tropicalia! Da hätte ich doch fast vergessen, dass Brasilien von 1964 bis 1985 21 Jahre lang von einer Militärdiktatur regiert wurde, die Entführungen, Folter und Mord ebenso für legale Mittel zur Verhinderung einer kommunistischen Revolution betrachtete wie die Schurken in den Nachbarländern Argentinien und Chile.

 

Und es gab dieses eine Jahr 1968, in dem all die Musikerinnen und Musiker, die ursprünglich einmal den Bossa Nova als Sinnbild der entspannten brasilianischen Lebenskultur in die Welt geschickt hatten, ihn unter Hinzunahme von Rock, Soul, Funk, Psychedelia und orientalischen Elementen via codierten Texten hinaus ins Land schickten, um zu zeigen: Wir sind da. Und sie werden uns nicht kleinkriegen. Tropicalismo war geboren. Gilberto Gil, Caetano Veloso, Os Mutantes, Jorge Ben, Gal Costa, Chico Buarque, Tom Ze waren die Namen dazu.

 

Gilberto Gil und Caetano Veloso wurden inhaftiert und verbrachten danach zwei Jahre im Exil in London. Chico Buarque hatte ebenfalls die Militärdiktatur am Hals. Ihn verschlug es nach Italien. Und auch die Staatspräsidentin kennt die Unterdrückung nicht nur aus den Geschichtsbüchern: Dilma Rousseff gehörte dem Widerstand an und wanderte deswegen in den Knast. Heute steht sie wegen ihrer drastischen staatlichen Eingriffe in die Volkswirtschaft – vor allem in der Energiepolitik – in der Kritik. Die Zeiten ändern sich. Und Belgien könnte Weltmeister werden.