Im SZ Magazin vom 16.12. ist ein langer und äußerst interessanter Text des von mir hoch geschätzten Tobias Haberl über Lucas Zwirner, den 31-jährigen Sohn des New Yorker Galeristen David Zwirner. Dabei wird auch die Autobiografie seines Großvaters Rudolf Zwirner erwähnt, die den schönen Titel „Ich wollte immer Gegenwart“ trägt. Beim Nachdenken darüber, was von diesem Jahr hängenbleibt, fiel mir in diesem Moment ein: Gegenwart? Ich hörte immer Vergangenheit, ich las viel Vergangenheit, aber Gegenwart war auch dabei. Literatur und Musik waren mir 2022 zwei treue Freunde, die meistens die richtigen Antworten wussten, wenn die giftigen Auswürfe von Gesellschaft und Politik Hirn und Herz verdunkeln wollten.
Und dann sitzt man da, glotzt auf den Monitor, überlegt, wie viel man preisgeben möchte von dem, was einen umgetrieben hat, freut sich, dass der Finger, in den im Herbst im OP-Saal zweimal der Bohrer gedrungen ist, fast wieder normal aussieht (aber natürlich nicht Instagram-tauglich ist), dass man mit milden Symptomen – quasi im Vorbeigehen und fast unbemerkt – Corona überstanden hat, dieses elende Ding, dessen fiesester Trick häufig nicht die Erkrankung ist, sondern die Fähigkeit, Freundschaften zu sprengen oder zumindest in Frage zu stellen. Das ist mir zum Glück seltener als vielen anderen passiert, kaum mehr als einmal, aber es ist traurig, wirklich traurig, und es ist so was von überflüssig.
Zum Glück gab es Houellebecq (ich muss IMMER nachschauen, wie man den schreibt), John Fante, Dostojewski, Rachel Cusk, Marlen Haushofer, The Mystic Revelation Of Rastafari, ein paar todtraurige und völlig unbekannte Folkies der 60er und 70er, Tia Blake und die seltsame Welt des Rebajada, wo man auf einer Party in Monterrey in den 60ern dank eines Stromausfalls eine coole musikalische Bewegung startete. Make fun not war.
In diesem Sinne, an alle Schurken dieser Welt: Paga La Cuenta Sinverguenza!
An alle anderen: Let there be peace.
Bücher:
1. Michel Houellebecq: Vernichten
2. Fjodor M. Dostojewski: Schuld und Sühne
3. John Fante: Arturo Bandini – Die Trilogie
4. Marlen Haushofer: Die Wand
5. Rachel Cusk: Coventry
Musik (Reissues):
1. The Mystic Revelation Of Rastafari: Grounation
2. Various Artists: Down & Out
3. Various Artists: Saturno 2000 – La Rebajada de Los Sonideros 1962-1983
4. Tia Blake: Folksongs & Ballads
5. Lee ‘Scratch’ Perry: King Scratch (Musical Masterpieces From The Upsetter Ark-Ive)
6. Lining Time: Strike
7. Slim Smith: My Conversation (1967-1973)
8. Crime: San Francisco’s Doomed
9. Various Artists: Earl’s Closet – The Lost Archive Of Earl McGrath, 1970-1980
10. Michael Chapman: And Then, There Were Three