Various Artists
Sorrow Come Pass Me Around: A Survey of Rural Black Religious Music
Advent Records, 1975
Ein Überblick über ländliche schwarze religiöse Musik: Man kann sich gut vorstellen, wie die Feldforscher damals in den 60ern und 70ern durch die Südstaaten getuckert sind, um diejenigen zu finden, die in den Kirchen, auf den Feldern oder daheim auf der Veranda den Herrn priesen und sich von ihm zumindest ein wenig Linderung ihrer Leiden erhofften.
Arme Pachtbauern, Landarbeiter, Schwellenleger. Manchmal ein Klischee, meistens wohl eher nicht.
Liest man parallel dazu „Black And Proud – Auf der Suche nach James Brown und der Seele Amerikas“, James McBrides wirklich atemberaubend gut recherchierte und ebenso exzellent geschriebene Biografie über den Godfather of Soul, bekommt man einen sehr guten Eindruck dieser Epoche, deren Protagonisten vermutlich von ihren Großeltern noch Geschichten aus der Sklavenzeit erzählt bekamen.
„Sorrow Come Pass Me Around“ ist eine Zusammenstellung von 16 Songs, aufgenommen zwischen 1965 und 1973 in den Bundesstaaten Mississippi, Louisiana, Tennessee, Georgia und – quasi als missionarisches Exil zweier Reverends – Kalifornien. Fotos, Orte und Zeiten der Aufnahmen sowie biografische Daten und Geschichten zu allen Musikern sind in einem 16-seitigen Begleitheft festgehalten – dem enzyklopädischen Auftrag angemessen.
Die Musik, die wir hören, sind instrumentierte Gospels, Blues- und Country-Songs sowie zwar etwas gewöhnungsbedürftige, aber umso inbrünstiger dargebotene A-cappella-Spirituals, deren Interpreten davon erzählen, welch steinige Wege sie gegangen sind und welch hohe Berge sie erklommen haben, was der Herr für sie getan hat und wie sie Jesus sprechen hörten. Sünder und Suchende, Schwache, Arme, Gebrochene.
Anders als in unseren Regionen werden diese Songs nicht bestenfalls beim sonntäglichen Kirchgang wenig motiviert mitgebrummt, sie sind Teil des Alltags und werden dabei eben auch mal bei einem privaten Konzert zwischen die alten Blues-Nummern geschoben oder mit ein paar Freunden abends zum Schwarzgebrannten gesungen (um ein beliebtes Thema der James-Brown-Biografie zu zitieren). Vielleicht klingen sie deshalb meistens gar nicht wie religiöse Musik, sondern könnten fast unauffällig in jeder (schwarzen) Südstaatenkneipe laufen, nur dass die Sänger nicht davon erzählen, wie die Frau mit dem besten Freund durchgebrannt ist oder warum die Arbeit eine verdammte Plackerei ist, sondern dass der Herr sich bitte an sie erinnern möge, wenn ihr letztes Stündlein schlägt.
Und dass die Erstauflage dieses Albums 1975 ausgerechnet auf einem Blues-Label namens Advent Records erschienen ist, passt verdammt noch mal (ein einziger Fluch muss hier drin sein) besser als das Kreuz in einem bayerischen Finanzamt. Glory Glory Hallelujah!