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Kunst & Alltag

Music For Fans (15): Camper Van Beethoven – Telephone Free Landslide Victory

Camper Van Beethoven
Telephone Free Landslide Victory
I.R.S., 1985

 

Vor gut zehn Jahren pilgerte ich mit einem Freund erwartungsvoll zu einem Konzert in die Expresshalle des seligen Neu-Ulmer Bahnhofs. Die von mir eine Zeit lang schwer verehrten Camper Van Beethoven aus Kalifornien waren zu einem Comeback-Gig angekündigt. Es war eine große Enttäuschung.

 

Der Laden war gut gefüllt, die Band hatte aber die schlechte Idee, mit ihrer früher immer wieder mal anarchisch-dissonant Songs zersetzenden Violine ein Jahrmarktspektakel zu veranstalten. Teufelsgeiger an der Resterampe des damals schon angezählten Indie-Rock.

 

Schade war das. Dabei hatte sich mir eine große Erkenntnis eröffnet, als ich ihr Debütalbum „Telephone Free Landslide Victory“ damals in meinem unbedarften Kleinstadtleben zum ersten Mal hörte. Schuld daran war ein Schulfreund, der es – durch welche Quellen, Tipps, Vertriebswege auch immer – bereits im Jugendalter fertiggebracht hatte, ausgefallenste, unbekannteste und nur sehr schwer erhältliche Platten (wir reden hier von einer Zeit ab Beginn der 80er Jahre) in seinem kleinen, kalten Loch auf der Lindauer Insel zu horten.

 

Dieses Album entzündete damals in mir das Gefühl, etwas Wunderbares gefunden zu haben, das ich nie gesucht hatte. Ein sehr exklusives Gefühl. Bei The Velvet Underground war’s genau so, vielleicht noch bei den Sex Pistols, The Moldy Peaches oder Beat Happening, aber jeweils aus anderen Gründen. Hier war es das Gefühl, das Dinge zusammenpassen, wenn man sie laufen lässt. Wenn man Grenzen ignoriert (oder gar nicht erst kennt) und alle Formen von Musik, die einem gefallen, zusammenschmeißt. Ohne Wertung, ohne Priorität, ohne Absicht. Vor allem ohne den Plan, dass es cool klingen könnte, russische, chinesische oder hawaiianische Folklore mit Ska, Punk oder Country zu vermischen. Es entsteht einfach, weil der Kopf, der Geist und das Herz so offen sind und die Lust so groß.

 

Das Album erschien 1985, dem Jahr, in dem der amerikanische Independent-Rock New Wave als größte Innovationsquelle ablöste. Als Minutemen und Hüsker Dü mit ihren Doppelalben auf dem SST-Label (beide 1984 erschienen) den Weg aus dem US-Hardcore in neue musikalische Formen ebneten, als auf Homestead Records Dinosaur Jr. und der Mudhoney-Vorgänger Green River ihre Debütalben und Sonic Youth „Bad Moon Rising“ veröffentlichten. Und Camper Van Beethoven bewiesen, dass nicht nur eine Schnittmenge von Sex Pistols und Jimi Hendrix denkbar war, sondern auch die von Black Flag, The Fugs und Mikis Theodorakis.

 

Zum Opener „Border Ska“ könnte eine gediegene Hochzeitsgesellschaft tanzen oder sich ein Haufen Punks die Rippen prellen. Die vielen ruppigen, herzzerreißend schönen Pseudo-Ethno-Songs könnten auf dem Sommerfest des Eine-Welt-Ladens laufen oder auf der Playlist eines besonders ausgefuchsten, obskuren Crate Diggers stehen. „Wasted“, die eineinhalbminütige Cover-Version des fünfzigsekündigen Hardcore-Songs von Black Flag, klingt, als habe jemand den Song absichtlich heruntergepitcht und gleichzeitig heimlich die Geige verstimmt.

 

Und dann gibt’s noch „Take The Skinheads Bowling“, den Song, bei dem wahrscheinlich heute noch regelmäßig Indie-Rock-Fans sagen: „Super Nummer, kenn’ ich. Von wem ist das? Camper Van Beethoven? Lustiger Name. Nie gehört“. Ein Fehler.